BeHaind’s review published on Letterboxd:
UPDATE
Mittlerweile habe ich den Film ein zweites Mal gesehen, weil ich nach dem ersten Mal so sehr hin- und hergerissen war, wie lange nicht. Mit jedem Gedanken daran, fielen mir mehr und mehr negative Punkte auf - die sich beim zweiten Sichten nun leider bestätigt haben. Joaquin Phoenix ist toll, der Rest leidet unter dem Drehbuch, der Tatsache, dass Todd Phillips im Grunde nur weitaus bessere Vorbilder imitiert, ohne das Toolset zu besitzen, diese zu erreichen. Das Finale fand ich beim zweiten Mal geradezu lächerlich geschrieben und die Figur leidet unter der Last der Probleme, die ich unten schon beschrieben habe. Ich gehe daher einen halben Stern nach unten.
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Originalkritik:
Ich wollte den „Joker“ nicht. Ich hatte keinen Bedarf an einer Origin Story für eine der schillerndsten Figuren der Comicgeschichte. Für mich funktionierte der Joker immer gerade, weil ich nicht wusste, was ihn antreibt, wo er herkommt und was er als Nächstes tut. Und doch - die ersten Trailer, der Look, Joaquin Phoenix. Ich war weit im Vorfeld angetan...und bin es noch. Aber meisterhaft, wie frühe Reviews vermuten ließen, fand ich ihn leider nicht.
Zunächst das Offensichtliche: Phoenix ist als Darsteller in völlig andere Sphären digitiert, spielt sich wortwörtlich um den Verstand und kreiert einen Charakter, der sich in den Köpfen der Filmwelt einbrennen wird. Allerdings existieren dort bereits mindestens drei brillante Inkarnationen - Nicholson, Ledger und Hamill haben ihren Joker bereits geprägt. Dieser hier ist eine Version, die definitiv anders, definitiv gewöhnungsbedürftig ist und hauptsächlich von Phoenix‘ Darstellung lebt. Aber auch er war woanders (The Master!) nochmal besser, weil sein Spiel dort nuancierter und subtiler sein durfte. Als Arthur Fleck ist er oftmals alles auf einmal: mal bemitleidenswert naiv, dann wieder scharfzüngig, fast „bossy“, mal nervös, tieftraurig oder derart socialy awkward, dass es beim Zuschauen weh tut. Das ist ganz klar nicht frei von einer deutlichen Faszination, Arthur Fleck, respektive der Joker, ist als Figur dadurch jedoch nur schwer zu greifen - was in einem Film, dessen einziges Ziel es ist, den Charakter und seine Motivation zu erklären...sagen wir...nicht so gut ist.
Arthur Fleck wirkt dadurch weniger wie ein Charakter und mehr wie ein Opfer, das von einem Extrem ins nächste geschubst wird. Das Drehbuch überschlägt sich dabei regelmäßig, um immer neue, zunehmend haarsträubendere Situationen zu erfinden, in denen der Zuschauer mitfühlen soll. Nur gelang mir über weite Strecken kaum Bezug zu Arthur aufzubauen. Dafür wirkt er zu entrückt, sein Schicksal einen Tick zu drüber. Und da praktisch keine weiteren zentralen Rollen existieren, bleibt als emotionaler Ankerpunkt keine weitere Alternative.
Mit zunehmender Laufzeit häufen sich aber die Momente, in denen „Joker“ dann auch richtig packend wird. Überhaupt funktioniert der Film für mich am Ehesten, wenn sich die kleinen und großen Verweise auf den Kultbösewicht verdeutlichen. Todd Phillips hat nicht einfach stur an der Comicvorlage vorbei inszeniert, sondern erfindet einen neuen Joker, der dennoch genügend DNA der vorherigen Versionen trägt.
Was für mich nicht funktioniert, ist die Vermählung von Arthur Fleck und der Kreatur, die er letztlich wird. Der Switch vom tragischen Außenseiter zum kaltblütigen Wahnsinnigen kommt zu abrupt, wirkt trotz langer Vorbereitung in den ersten zwei Dritteln zu forciert. Und doch sind diese Momente stark inszeniert, wirken ob ihrer Drastik lange nach.
„Joker“ der Film ist wie seine Figur ein Film der Widersprüche. Ich war immer wieder gebannt, dann über lange Phasen wiederum seltsam distanziert. Ich tat mich schwer mit Arthur Fleck mitzuleiden, war aber dennoch wie hypnotisiert von Joaquin Phoenix. Ich mochte „Joker“ - und war dennoch enttäuscht, dass er mir nicht noch mehr gefallen hat. Vielleicht auch, weil Heath Ledgers Performance mich damals völlig in den Bann gezogen hat. Dieser „Joker“ kommt indes erst richtig in Fahrt, wenn es schon fast vorbei ist, dafür wird der „Clown Prince of Gotham“ einfach zu spät von der Leine gelassen.
Der Rest würde für mich in einem Film, der nicht „Joker“ heißt, vermutlich wesentlich besser funktionieren - wobei es den eigentlich schon fast so ähnlich gibt. Seit damals, 1976. Seit Scorseses „Taxi Driver“. Aber um in dessen Klasse mitzuspielen, reicht ein Weltklasse-Schauspieler allein am Ende nun mal doch nicht aus. Und Todd Phillips fehlt für derlei Fingerübungen schlicht das Format.