Lamb

Lamb ★★★★

Lange habe ich mich auf die Veröffentlichung von Lamb in Deutschland gefreut. Nach der ersten Sichtung stellt sich mir aber genau die Frage, vor der ich mich am meisten gefürchtet habe: Wie soll man das Gesehene beschreiben oder gar bewerten?

Ich würde Lamb von Valdimar Jóhannsson in drei Stücke aufteilen. Im ersten Abschnitt darf vor allem erst einmal Kameramann Eli Arenson stoisch zurückhaltend vom Leder ziehen. Mit einer Totalen nach der anderen treibt er die Zuschauenden in die Rolle des großäugigen Voyeurs, welcher zwischen viel isländischem Nichts die kleinen Details des Bauernhofs von Maria und Ingvar erkunden darf. Im zweiten Abschnitt kommt die Ziehtochter Ada ins Spiel – als Mischwesen wird sie zum Dreh- und Angelpunkt. Der letzte Abschnitt steuert auf die Auflösung der Erzählung zu. Spätestens mit dem damit verbundenem Ende zwingt Lamb die Zuschauenden, sich für ein Lager (Freude, Unsicherheit oder Team Zeitverschwendung) entscheiden zu müssen.

Ich glaube nicht, dass Lamb in zwei Sätzen zusammengefasst werden kann: Themen wie Kindesverlust, Depressionen, Leben im Anthropozän und ein Hauch isländische Mythologie werden leise zu einer Masse verwoben, die bedrückend ist. Regisseur Jóhannsson hat dann auch tatsächlich in einem Interview gemeint:

„It can stand for so many things […]. I’ve changed my mind after watching the film so often. But it can stand for nature; it can stand for so many things. I feel everybody has to take their own understanding of it. I think it’s not interesting to know what I think about it.“

Am offensichtlichsten ist für mich die Frage, inwieweit ein tragisch gescheiterter Traum dazu berechtigt, den eigenen Willen ins Extrem zu überführen? Nicht nur den eigenen Willen zu manipulieren, sondern auch den Willen anderer Menschen, anderer Lebewesen. Den Willen am Leben neu zu definieren und den Willen am Überleben eigenmächtig zu nehmen. Wie kann rational begründet werden, einem Wesen mit Muttergefühlen zu begegnen, um im gleichen Moment einem anderen mit Hass und Gleichgültigkeit zu antworten? Wie groß muss der Wunsch nach dem eigenen persönlichen Glück werden, um natürliche Prozesse und das eigentliche Miteinander abstrakt und surreal wirken zu lassen?

Natürlich mag das esoterisch klingen, aber genau damit hat Valdimar Jóhannsson sein Ziel erreicht: Ähnlich wie bei Okja, aber weitaus weniger plakativ, wird zum Nachdenken angeregt. Der Austausch des Erlebten und das Hinterfragen des Gesehenen sind essenzielle Dinge, die dem modernen Kino fast vollständig abhandengekommen sind. Das macht diesen Film weitaus weniger massentauglich. Vielleicht ist das aber auch gar nicht schlimm, solang man sich darauf einlassen kann und möchte. Lamb ist eine Grundlage zur Hinterfragung des eigenen Handels. Lamb ist ein Anstoß zur Selbstreflexion.

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